SPRACHLOS IN CHINA

 

„Whe‘ you going, mate?“ – Wir sind schon überrascht, nach Verlassen der Hafenfähre in breitem Australisch angesprochen zu werden. Die kurze Überfahrt mit einem der alten Personenfähren der traditionellen Star-Ferry von Hong Kong Island zum Festland nach Kow Loon bringt uns in eine Welt des bunten Jahrmarktes. Gleich hinter dem Anleger tummelt sich eine Schaar Touristen vor dem modernen fensterlosen Gebäude des Hong Kong Cultural Centers in einem Durcheinander mit Einheimischen und mehr oder weniger aufdringlichen Anbietern von Dingen, die ein Besucher von Tsim Sha Tsui, der berüchtigtsten Einkaufsmeile Kow Loons, wohl kaufen sollte. Unser australischer Freund passt weder in das Bild der typischen Touristen, schon gar nicht würde man ihn mit einem chinesischen Geschäftsmann verwechseln. Ein wenig abgerissen sieht er aus. Und schon spricht er den nächsten Ahnungslosen an, um ihm Tickets für eine Hafenrundfahrt zu verkaufen. „Wo soll‘s denn hingehen, Kumpel?“

Wenige Schritte weiter versucht es eine junge Engländerin: „Hey Guys, how about harbour cruise an‘ Lightshow?“ Sie versucht ihr Glück mit Karten für das allabendliche Hafenspektakel „Symphony Lights“. Geheimnisvoll nähern sich seriös gekleidete freundliche Inder, die mit gedämpfter Stimme Rolex-Uhren - billiger Nachbau, versteht sich - anbieten. Ihre Landsleute, die für einen indischen Schneider werben, treten dagegen schon offensiver auf. Sie versuchen ihre Opfer gleich in die Schneiderei zu lenken, in der Maßanzug oder Kostüm binnen 24 Stunden gefertigt werden. Das Geschäft ist hart, das Wetter wenig einladend. Die Schlepper, Strandgut einer untergegangenen Kolonialmacht, sind nicht zu beneiden.   

                             

Wir befinden uns noch immer auf dem Gebiet der ehemaligen britischen Kronkolonie, das am 1. Juli 1997 als Sonderverwaltungsbezirk an China zurückgegeben wurde. Linksverkehr, eigene Währung und eigene Visaregelungen scheinen wie ein letzter verzweifelter Versuch, an Vergangenem festzuhalten. Hong Kong ist ein guter Einstiegsort für eine Chinareise. Zweisprachige Straßenschilder und Speisekarten machen Orientierung und Mahlzeiten einfacher. Man kann sich üben im Essen mit Stäbchen und erhält überall auf Englisch Auskunft.

Noch vor Grenzübertritt, beim Kauf der Bustickets, beginnt der erste Sprachtest. Die Busgesellschaft hat ihren Sitz in China, das Personal ist chinesisch. Am Fahrkartenschalter sitzt eine junge, freundliche Bedienstete in hellblauer Uniform und fragt in gutem Englisch nach unserem Reiseziel. Wir sind erleichtert: „Zweimal Guang Zhou bitte, einfach, für Dienstag, 9:00 Uhr!“ Oh no!! Nach Guang Zhou fahre nur die Bahn. Wir sind verwirrt und versuchen unser Begehr durch langsame und besonders betonte Aussprache zu verdeutlichen. Nach Guang Zhou fahre kein Bus, ist die Antwort. In ihrem hübschen Gesicht beginnt sich echtes Bedauern breitzumachen. Also nein! Wir bitten um ein Fahrplanheftchen. Hier stehe es doch schwarz aus weiß: Kow Loon – Guang Zhou, täglich 9:00 Uhr, 11:00 Uhr usw. Wir zeigen ihr den Fahrplan. Ein Strahlen  erhellt ihr Gesicht: „Ah, Guang Zhou!“ - „Ja, zwei Tickets nach Guang Zhou!“ – „Nicht: Guang Zhou – Guang Zhou!!!“ wiederholt sie streng und beginnt herzhaft zu lachen. Wie es mit dem Visum stehe? Dieses erhielten wir übermorgen. Gut, dann sollten wir übermorgen wiederkommen, oder am Dienstag. Das Lachen steht immer noch in ihrem Gesicht. Als wir die Fahrkarten dann am Dienstag zwanzig Minuten vor Abfahrt des Busses abholen, begrüßt sie uns sofort mit herzlichem Lachen. Auch wir lachen. Die kleine, souveräne  Fahrkartenverkäuferin hat mit ihrem natürlichen Charme unsere ganze Sympathie gewonnen. Wir haben allerdings nie herausgefunden, wo unser Aussprachefehlerlag.

 

Gleich zu Beginn unserer Reisevorbereitungen war klar, dass selbst das Auswendiglernen nur der wichtigsten Begriffe in chinesischer Sprache schnell an unsere Grenzen stößt. Chinesisch ist eine Sprache, mit der selbst Chinesen ihre Schwierigkeiten haben. Acht Dialektgruppen haben wiederum zahlreiche Unterdialekte. Regionale Akzente und ethnische Minderheitensprachen machen das Gewirr nicht kleiner. In der Schriftsprache geht es zwar einheitlicher zu. Um aber Zeitung lesen zu können müssen immerhin mindestens zweitausend Schriftzeichen beherrscht werden. Trotz alledem können sich viele Chinesen nicht vorstellen, dass jemand in ihrem Land herumreist, ohne ihre Sprache zu sprechen. Schon unser freundlicher Gruß „Ni hao“ löst bei manchen häufig einen Schwall von Worten aus, dem man hilf- und hoffnungslos ausgesetzt ist. Häufig kann erst ein einsichtiger Landsmann den Mitteilsamen stoppen und ihn davon überzeugen, dass die Langnasen ihn offensichtlich nicht  verstehen.

Mit der Zeit lernen wir, mit diesem Problem gut umzugehen. Die meisten Chinesen, auch abseits der touristischen Brennpunkte, begegnen uns mit neugieriger Freundlichkeit. Werden wir angesprochen, antworten wir. Auf Deutsch. Mit freundlichem Nicken und vielen Gesten erzählen wir, woher wir gerade kommen, wohin wir weitergehen, dass das Wetter kalt ist oder wir gerade Obst gekauft haben. Der Blick unseres „Gesprächspartners“ auf den Einkaufsbeutel und sein anerkennende Nicken zeigt uns, dass wir uns verstanden haben. Manchmal erfahren wir sogar, wo man gut einkaufen kann oder dass das Wetter besser werden wird. Zufrieden verabschieden wir uns von unseren neuen chinesischen Bekannten.

Schwieriger wird es zuweilen, wenn das Gespräch einsprachig auf Englisch geführt werden soll. Und das liegt nicht nur daran, dass sich viele Chinesen konstant vor der Anwendung des „r“ weigern: „Solly, solly, the loom is not flee!“ Daran sind wir schon nach kurzem gewöhnt.

Im Inneren der Insel Hainan wollen wir am Abend unseren Hunger in einem größeren Hotel stillen. Es ist kurz nach sechs und wir sind derzeit noch die einzigen Gäste im Restaurant. Wir fragen die schüchterne Serviererin vor der Bestellung, ob sie Englisch verstehe. Sie bejaht. Wunderbar. Nach Betrachtung der bebilderten Speisekarte bleiben dennoch Fragen: „Ist das Fleisch oder Fisch?“ - Keine Antwort. - OK, einfacher: „Ist das Fleisch?“ – „Yes“. Wir zeigen auf das gleiche Bild: „Oder ist das Fisch?“ – „Yes“. Das junge Mädchen tut uns leid. Sie will offensichtlich ihr Restaurant würdig vertreten, darf aber auch ihr Gesicht nicht verlieren. Wir ermuntern sie deshalb einen Kollegen herbeizuholen. Dieser hat zwei Dienstjahre mehr Erfahrung und begrüßt uns geschmeichelt auf Englisch. Unsere Bedienung hat sich sehr erleichtert zu ihren am Rande der Szene stehenden Kolleginnen zurückgezogen. Neugierig beobachten sie gemeinsam den Fortgang der Dinge. Der dienstältere Kollege scheitert schon an unserer Frage nach dem Gemüse. Verzweifelt schlägt er sich mit dem Handballen gegen den Kopf, als wolle er die fehlenden Worte herausklopfen. Auch unsere Sprachleistungen sind beschämend. Da die Bestellung eines Bieres nicht verstanden wird, versuchen wir es mit der Angabe des Markennamens: Tsingtao, eine Flasche Tsingtao!  Für Chinesen verbindet sich das Wort Tsingtao mit einer größeren Hafenstadt in Shandong, die heute Qingdao geschrieben wird.

Das Essen ist vorzüglich. Und als wir am nächsten Abend wiederkommen, werden wir gleich freudig von unserem Kellner begrüßt. Heute kann er die Speisen nicht nur fließend aufzählen, er beschreibt sie auch mit all den englischen Namen, die ihm noch gestern nicht einfallen wollten. Sein unauffällig zu Hilfe genommenes Handy enthält offensichtlich ein effektives und äußerst praktisches Wörterbuch.

 

Englische Version in China Daily:

http://www.chinadaily.com.cn/china/2011-05/09/content_12468274.htm