LAKE TOBA FASZINATION

 


Im Norden der indonesischen Insel Sumatra, in 900 m Höhe, liegt der größte bis zu 450 m tiefe Kratersee der Erde – der Lake Toba. Entstanden ist er nach einem gigantischen Vulkanausbruch vor rund 70.000 Jahren. In der Mitte seiner sich auf 1.707 km² ausbreitenden Fläche liegt die Insel Samosir, das kulturelle Zentrum der Toba Batak, eines heute größtenteils christlichen Volksstammes. Das trotz Äquatornähe milde Klima, die Einbettung in mächtiges Bergland vulkanischen Ursprungs, das ständig 25 Grad warme Wasser des Sees und nicht zuletzt die Bewohner der Region machten den Tobasee zu einem beliebten Ziel für Individualtouristen aus der ganzen Welt. Nicht wenige Reisende, die Samosir nur für ein oder zwei Tage als eine weitere Station auf ihrer Route besuchen wollten, sind hier für Wochen hängengeblieben.

    
„Wieso kennst du meinen Namen?” - Nurmin fragt ohne ein Anzeichen von Überraschung oder Verwunderung. Sie nimmt ihre Schirmmütze ab, als wolle sie mir Gelegenheit geben, noch einmal zu prüfen, ob ich sie auch nicht verwechsle. Ihre Schwester Remin benutzt Tage zuvor die gleichen Worte, um die ihr seltsam scheinende Begegnung mit mir aufzuklären. Eingangs verrate ich nur: „Deinen Namen kenne ich, weil ich dich kenne”. Von Remin erfahre ich, zwei ihrer Schwestern seien in Österreich, Nurmin käme aber in den nächsten Tagen mit ihrem Mann zurück. Ich verspreche wiederzukommen und überlasse ihr vier Fotos.

Die Fotos fielen mir in Sizilien bei der Vorbereitung meiner Reise nach Sumatra in die Hände. Es sind Bilder, die ich vor 33 Jahren bei meinem Aufenthalt am Lake Toba gemacht habe. Hier verbrachte ich nach sechs monatigem Aufenthalt in Australien und anschließender Reise durch Indonesien sechs Wochen, um die Erlebnisse meiner Reise zu ordnen. Ich war zu Gast bei Nurmins und Remins Eltern, einer Familie aus dem Volk der Batak, das in den Bergen Sumatras rund um den Tobasee beheimatet ist. Die Familie vermietete auf ihrem Anwesen Tuk Tuk Timbul, einem Landvorsprung auf der Insel Samosir, einfache Zimmer in traditionellen Batakhäusern an Vorgänger heutiger Backpacker – Traveller, die den beschwerlichen Weg zum Lake Toba nicht gescheut hatten. Nurmin und Remin versorgten unter den wachsamen Augen ihrer Mutter die Gäste mit Speis und Trank. Beim Betrachten der Fotos entstand in mir der Wunsch, nach Timbul zurückzukehren und herauszufinden, was von der Familie und dem Platz, der mich in besonderer Weise fasziniert hat, noch anzutreffen ist.

Meine Reise zum Tobasee führt mich zunächst von der malaysischen Insel Penang per Flugzeug nach Medan im Norden Sumatras und von hier in sechsstündiger Fahrt über die Karo Highlands nach Parabat, eine mittlerweile sehr lebendige Kleinstadt an der Ostseite des Sees. Nach gut halbstündiger Überfahrt mit einem der eigentümlichen Fährboote bin ich wieder auf der Insel Samosir. Auf gleichem Weg in umgekehrter Richtung habe ich drei Jahrzehnte zuvor Tuk Tuk Timbul und die Familie Siallagan verlassen.

Nach der ersten Nacht im Örtchen Tuk Tuk, das ich als kleine Ansiedlung weniger verstreuter Häuschen in Erinnerung habe, trete ich auf eine befestigte Straße, in der sich lückenlos Andenkenläden, kleine Esslokale, Motorroller- und Fahrradverleihgeschäfte , Reisebüros und Hoteleingänge diverser, sich zum See öffnender sogenannter „Cottage“-Anlagen aneinanderreihen. Die Straßen sind menschenleer – es ist wohl nicht die rechte Zeit für die hier erwarteten Touristen. Zurück am See wandert mein Blick über das Ufer, die kleinen Buchten. Ich suche nach Bekanntem, mir in Erinnerung gebliebenen Bildern. Das Panorama der Insel mit den steil aufragenden Wänden der nahezu einhundert Meter hohen Hügelkette ist die zweite Überraschung. An der Seeseite haben eine Aneinanderreihung von Hotelanlagen und kleineren Herbergen die von mir gesuchte ursprüngliche Landschaft verstellt. Jedoch auf dem der Insel gegenüberliegenden Ufer erkenne ich die mir vertrauten markanten Hügelketten erkalteter Vulkane, die in den See hineinragenden Reisfelder. Sie bildeten die Kulisse für das Schauspiel, das der See täglich neu aufführt, dem ich vor 33 Jahren stunden- ja tagelanglang zugeschaut habe. Meine Freude wird gesteigert, als mir ein jüngerer Batak bestätigt, ja, das Tuk Tuk Timbul gebe es noch. Eine Holländerin vermiete dort Räume, es sei immer gut belegt. Er weist mit der Hand über die Bucht des Sees. Dort, wo die beiden einzelnen Bäume am Ende der Landzunge stehen, sei Tuk Tuk Timbul. Er ist stolz, mir helfen zu können.

Erwartungsvoll mache ich mich am nächsten Morgen auf den Weg - gespannt, wie wohl alles aussieht, wen ich noch antreffen werde. Die Sonne steht heiß am Himmel, eine kühle Brise weht über den See. Aufmerksam suche ich am Rande des Weges nach Hinweisen, an die ich mich erinnern kann. Nach einer halben Stunde Weges mache ich durch die Bäume die lockere Ansammlung von Häusern und das Ufer von Timbul aus. Große gelbe Lettern am Strand zeigen den per Boot Anreisenden: Hier ist Tuk Tuk Timbul. Ich gehe einen neu angelegten, asphaltierten Weg nach unten zum Platz vor dem Haus der Familie Siallagan. Die Frau, die ich bei Gartenarbeiten antreffe, stellt sich als in die Familie eingeheiratete Holländerin vor, die mittlerweile für die Vermietung der Unterkünfte zuständig sei. Opung Sarmas, das weibliche Oberhaupt der Familie, sei zurzeit gegen ihre Gewohnheit nicht zu Hause, ihr Ehemann vor Jahren verstorben. Von den Töchtern sei nur noch Remin auf Samosir. Sie betreibe in der Nachbargemeinde Ambarita an der Hauptstraße neben der Schule einen kleinen Warung.
Also unternehme ich am nächsten Tag einen Ausflug in das bezeichnete Dorf. Es ist bereits Mittag, als ich in Ambarita eintreffe. Es gibt zwei Hauptstraßen. Aus den Schulen – ich zähle insgesamt drei - kommen bereits die Schüler in ihren Schuluniformen. Die Jüngeren mit weißen Hemden und roten Röcken oder roten kurzen Hosen, die Halbwüchsigen in leichter hellblauer Kleidung. Vor den Warungs in Nachbarschaft der Schulen versorgen sie sich vor ihrem Heimweg mit Getränken oder Süßigkeiten. Die Größeren, oft schon mit einem Motorroller unterwegs, nehmen auch schnell eine kleines Reisgericht zu sich. Ich laufe von einem Warung zum anderen und suche Remin. Kurz vor dem Ortsausgang, neben einer kleinen Kfz-Werkstatt, betrete ich einen dieser überall in Indonesien anzutreffenden Essplätze. Rechts neben dem Eingang sind frittierte Tabiokaplätzchen und Reisbällchen ausgestellt. Dahinter ein Zubereitungsplatz für Gemüse, Fleisch und Fisch, ein Regal mit Essschüsseln, Gläser für Tee. An der linken Wand des Raumes stehen drei Tische. Eine Frau bückt sich hinter ihrem Arbeitsplatz, so dass ich nur ihren Rücken sehen kann. Als sie sich aufrichtet und mich begrüßt, suche ich in meiner Erinnerung Vertrautes. Ich versuche etwas finden, das mich an die 19 jährige Remin erinnert. Ich bin blitzschnell entschieden und frage: „Bist du Remin?“ - „Wieso kennst du meinen Namen?“ Ich habe Remin gefunden!

Die 52-jährige Frau betrachtet schweigsam die Fotografien, die ich ihr vorlege. Dann sagt sie wie zu sich selbst mehrmals: 33 Jahre! Und plötzlich beginnt sie laut zu lachen. „Wie dick ich gewesen bin!“ Von einem Bild zum anderen wechselnd versucht sie, die Darstellungen für sich zu ordnen, Personen zu benennen: die damals zwanzig jährige Nurmin und beider jüngste Schwester Narhom. Und wieder beginnt sie herzhaft zu lachen, wobei sie den Kopf mit den Schultern nach vorn wirft, so als wolle sie ihr Lachen versteckt ausschütten. Eine Nachbarin bringt ihr frischen Tofu vom Markt vorbei. Wieder mit mir allein, erklärt Remin, dies sei ihre Schwägerin gewesen. Sie erzählt, ihrem Mann sei sie mit ihrer Heirat hierher in den Heimatort seiner Familie gefolgt. Er sei vor Jahren gestorben. Nun sei sie hier, sie zeigt dabei mit einer Handbewegung auf den kleinen Raum ihres Warungs. Ihre Kinder seien zum Teil bereits aus dem Haus. Drei hätten in Medan eine Ausbildung beendet, nicht alle aber eine Anstellung. Remin macht auf mich einen recht ausgeglichenen Eindruck. Sie ist schlank, hat ein lebendiges Gesicht, ihre fünf Kinder und der Verlust ihres Mannes sind ihr nicht anzusehen. Sie stellt für mich ein Glas Tee und frittierten Tofu auf den Tisch, setzt sich zu mir und beginnt zu erzählen. Ihre drei Schwestern leben im Ausland. Nurmin in Österreich, Lormen, die ich nicht kennengelernt habe, ebenfalls in Österreich und Narhom in Deutschland. Die Frauen hätten den Männern zu folgen, ist ihre Erklärung. Ich bin ein wenig überrascht. Erinnere ich mich doch, dass vor 33 Jahren scherz- oder ernsthafte Annäherungsversuche männlicher Gäste von den Mädchen unmissverständlich zurückgewiesen wurden: Keine Berührung vor der Ehe, sie würden eh nur einen Mann aus dem Batakvolk heiraten. Nurmin allerdings warte noch auf ihren Prinzen, wurde sie damals von ihrer Schwester aufgezogen. Sie käme jetzt, immer wenn sie für ein halbes Jahr in Timbul lebt, jeden Tag mit ihrem Motorroller zu ihr auf Besuch. Ab nächsten Montag sei sie mit Chris wieder auf Samosir.

Ich besuche das Tuk Tuk Timbul jedoch vor Montag noch einmal, will ich doch in Ruhe Opung Sarmas treffen. Sie sitzt auf den Stufen vor ihrem Haus und gibt mir zur Begrüßung ihre vom schweren langen Arbeitsleben geprägte Hand. An ihr genaues Alters erinnert sich niemand. Nur, dass vor Jahren für sie ein großes Fest gefeiert wurde. Sie ist über 80 und sieht in ihrer zarten, zerbrechlichen Gestalt würdevoll aus. Natürlich kann sie sich weder an mich noch an die Zeit vor 33 Jahren erinnern. Sie weist auf den höchsten Hügel und das dort errichtete Totenhaus und erklärt, dass ihr Mann jetzt dort oben wohne. Ja, die Bäume habe es früher noch nicht gegeben. Rechts am Ufer seien neue Häuser gebaut worden. Hier wohne auch Nurmin mit ihrem Mann. Wir kommen auf meine Fotos zu sprechen, die ihr Remin bereits gezeigt hatte. Darauf holt sie aus dem Haus die Hochzeitsfotos ihrer Kinder. Sie selbst betrachtet die Fotos mit langem Schweigen. Sie versichert, dass es ihr sehr gut gehe und als sie mich zum Abschied ein paar Schritte begleitet, freut sie sich über meine Scherze. Sie lacht laut und herzlich, hebt dabei ihren Kopf und wirft ihn nach vorn. Eine Geste, die auch ihren jungen Töchtern eigen war und die diese bis in die heutigen Tage nicht verloren haben.

Am Mittwoch steige ich zum dritten Mal den asphaltierten Weg nach Timbul hinunter. Noch bevor ich den Platz vor dem Haus der Familie Siallagan erreiche, treffe ich hinter den neugebauten Häusern auf zwei Personen, die den Zugangsweg ausbessern. Während ich näherkomme, stellen sie ihre Unterhaltung ein, so dass ich nicht mehr feststellen kann, in welcher Sprache sie geführt worden ist. Ich erkenne Nurmin sofort an ihrem krausen Haar und ihren unverwechselbaren Gesichtszügen. Die Begrüßung erfolgt noch in Englisch. Wie von selbst wechselt die Sprache schnell ins Deutsche. Chris erklärt, dass er die Bataksprache so weit beherrsche, dass er gut mit den Leuten auf der Insel kommunizieren könne. Nurmin spricht zu meinem Entzücken ein wunderbar österreichisch eingefärbtes Deutsch. Das ist für mich vollkommen ungewohnt, habe ich früher doch nur Englisch mit ihr sprechen können. Die Einladung auf eine Tasse Kaffee nehme ich gern an. Wir sitzen vor ihrem Haus auf der Terrasse direkt am See und während Nurmin ganz selbstverständlich in der Küche die Vorbereitung des Kaffees übernimmt, hat Chris Gelegenheit zu erzählen, dass er Architekt und ihr Haus nach seinen Plänen gebaut worden sei. Das erste Haus nach der traditionellen Architektur der Batakleute, das er gebaut habe, sei das Totenhaus auf dem Hügel gewesen. Er habe Nurmis Vater, der dort begraben liegt, als einen ungewöhnlichen Menschen sehr schätzen gelernt. Nurmi serviert den Kaffee in feinen Porzellantassen und ich habe Gelegenheit, sie ein wenig zu beobachten. Sie hat ein reifes Gesicht bekommen. Ihr krauses Haar ist nach wie vor schwer zu bändigen, ihre Fingernägel sind gepflegt und lackiert. Sie trägt, passend zur Gartenarbeit, einen Jeansanzug. Mit frisch geschminkten Lippen ist sie in die Rolle einer perfekten Gastgeberin geschlüpft. Chris arbeitet nach Aufgabe selbständiger Unternehmertätigkeit in der vom Vater geerbten Möbelfabrik, einer Rolle, die er sich mit seinem Bruder teilte, weiterhin als Künstler. Das Paar lebt abwechselnd für ein paar Monate in Wien, den Rest des Jahres am Tobasee. Über dem See türmen sich bereits die täglich gegen Mittag aufziehenden Regenwolken. Chris muss seine Gartenarbeit abschließen. Wir verabreden uns auf ein Wiedersehen in den nächsten Tagen.

Ich bin froh, dass die Begegnungen in mehreren Schritten stattfinden. Die Eltern Siallagan, ihre beiden Töchter, waren für mich verbunden mit dem friedvollen Anwesen der Familie, dem kleinen Restaurant, den einfachen Batakhäusern, dem kahlen Hügel hinter den Gebäuden. Heute ist alles verändert. Auf der Landzunge sind weitere Häuser gebaut worden, auf dem Gelände überall Bäume gewachsen, das Restaurant wurde auf das Doppelte vergrößert. Im ältesten Batakhauses, in dem ich einen der drei Räume bewohnt habe, hat sich heute ein älteres Paar aus der Gegend um Hamburg wohnlich eingerichtet. Es verbringt hier seit zehn Jahren regelmäßig das Winterhalbjahr. Die jüngeren Gäste reisen mit Laptop und bewegen sich auf der Insel mit geliehenen Motorrollern. Allein der Service im Restaurant ist gleich geblieben. Man schreibt seine Bestellungen in ein kleines Heftchen, reicht dieses durch eine Luke in die Küche und rechnet bei Abreise ab. Das Gado Gado, das ich bestellt habe, schmeckt ausgezeichnet. Ich bin nicht ganz frei von Wehmut.

Opung Sarmas, wirkt wie ein ruhender Pol. Sie sitzt auf der Treppe vor ihrem Haus, spielt mit den Urenkeln, hat alles im Blick, nichts entgeht ihr. Ihre Kinder haben ins ferne, ihr unbekannte Europa geheiratet. Nur Remin ist auf der Insel und in ihrer Nähe geblieben. Nachdem ihr Sohn mit seiner Frau nach Timbul zurückgekehrt ist, lebt nun auch Nurmin einen großen Teil des Jahres mit ihrem Mann in ihrer Nähe.
Am Sonntag erlebe ich sie in Begleitung ihrer Kinder beim Kirchgang. Die Familie gehört zu einer kleinen christlichen Religionsgemeinschaft, einer indonesischen Pentakosta-Gemeinde. Die einfache Kirche steht mitten in den Feldern am Rande Ambaritas. Die Sitzplätze im Andachtsraumraum sind fast alle besetzt, links die weiblichen, rechts die männlichen Kirchgänger. Als Opung Sarmas an Nurmis Arm, gefolgt von Remin, Schwiegertochter, Schwiegersohn und Enkelkindern – alle in festlicher, traditioneller Kleidung - die Kirche betritt, singt die Gemeinde bereits inbrünstig und klatscht dabei rhythmisch in die Hände . Es wirkt wie ein gut inszenierter Auftritt. Würdevoll begibt sich das Familienoberhaupt an die Stirnseite des Raumes, um zusammen mit seiner Familie die Prediger mit Handschlag zu begrüßen. Chris, in hellblauer Jacke und gelber Krawatte, setzt sich anschließend zu mir.
Während sich die weiblichen Familienmitglieder nach dem Gottesdienst noch mit den anderen Gemeindemitgliedern zum gemeinsamen Mittagessen begeben, fahre ich mit Chris zurück nach Timbul. Hier hat er Gelegenheit, ungestört zu erzählen. Ich erfahre viel über das schwierige Leben der Batak: viele Kinder, wenig Arbeit, die Männer meist keine große Hilfe für die Familie. Chris erzählt über seine privilegierte Stellung und wie er damit umgeht. Er arbeite zusammen mit einheimischen Künstlern, die von ihm lernten. Auch für seine Nichten und Neffen sorge er. Mitleid habe er sich abgewöhnt. Jeder sei für sich selbst verantwortlich. Regelmäßig gehe er in die einfachen Kneipen, um mit den Männern aus dem Ort Tuak, ein aus der Blüte der Zuckerpalme gewonnenes leicht alkoholisches Getränk, zu trinken. Dies sei für ihn lustvollere Integration als der sonntägliche Kirchgang. Er lädt mich für die nächsten Tage zum Tuaktrinken auf seine Terrasse ein. Bis dahin habe ich Zeit, all meine Beobachtungen und Eindrücke zu ordnen.
Fragen entstehen. Fragen nach den Umständen, unter denen die drei jungen Frauen aus Samosir, aufgewachsen nach den Regeln des Batakvolkes und geprägt von den Gesetzen ihrer natürlichen Umgebung, in der ihnen fremden Welt Mitteleuropas leben. Fragen nach der Annäherung der europäischen Männer an ihre neue, archaische Familie.

Beim Tuak, mit dem Blick auf den See, ist die Stimmung recht entspannt. Von selbst, fast wie eine Erklärung nachzuholen, kommen meine beiden Gastgeber im Gespräch auf den Beginn ihrer 35 Jahre zurückliegende Bekanntschaft. Nurmin verrät, wie der österreichische Gast Chris ihr bei seinem ersten Abschied einen Kuss „geraubt“ habe und als ihr Prinz wiedergekommen sei. Nach weiteren Besuchen habe sich Chris bei den Eltern Siallagan unversehens als Schwiegersohn wiedergefunden. Ihre Hochzeit sei mit einem riesigen Fest gefeiert worden. Die Hochzeitsreise führt nach Bali und Australien und danach in das österreichische Weinviertel, der ländlichen Gegend, in der Chris aufgewachsen ist und nun fortan mit seinem Bruder den elterlichen Betrieb führen soll. Nurmin versorgt das Haus und kümmert sich um ihre Schwiegermutter. Ihre Schwester Lormen kommt ebenfalls in ihr Dorf ins Weinviertel. Lormens Soziologiestudium findet ein jähes Ende, als sich der Konditormeister des Ortes in sie verliebt und sie heiratet. Die jüngste Schwester Nurhan heiratet einen Franzosen, mit dem sie in Deutschland lebt. Beider Tochter, eine junge hübsche Frau mit langen Haaren, erholt sich zurzeit in Timbul von den Strapazen ihrer Abiturprüfung. Sie badet mit ihren Neffen im See und setzt sich anschließend zu uns in die Tuak-Runde. Die Unterhaltung wird allgemeiner und es wird viel gescherzt. Nurmin erklärt, warum sie so klein geblieben sei. Sie habe schon als kleines Mädchen täglich das Gemüse, das die Eltern auf ihrem Feld angebaut hatten, den langen Weg von Ambarita nach Tomok zum Markt tragen müssen. „Weil ich die schwere Last immer auf dem Kopf getragen habe, bin ich so klein geblieben.“ Wir lachen alle. Chris erzählt, dass er in Wien regelmäßig Museen besuche. Seine Frau nutze diese Zeit gern zum Shoppen. Die neuen Kleider trage sie dann bei ihren gemeinsamen Opernbesuchen. Meine Fragen bleiben so ungestellt.

Wenige Tage später sitze ich auf Deck der Fähre nach Parabat. Nach vier erlebnisreichen Wochen verlasse ich die Insel Samosir im Tobasee wieder. Ich schaue den über den See ziehenden Reihern nach, beobachte Weißkopfadler beim Fischfang und lass mich noch einmal von den Wolken einfangen, die sich von den Bergkämmen über den See ausbreiten. Obwohl sich in den Jahre viel verändert hat, ist die Faszination, die vom Lake Toba ausgeht, unverändert geblieben.    

 

Fotos:    www.guenter-schuermann.net/fotos/sumatra/tuk-tuk-timbul-1979-2012/ 

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