Singapur – Wo der Löwe mit dem Schwanz tanzt

 

Zweieinhalb Tage für Singapur!  

 

Er reicht uns die Hand, stellt sich mit Namen und anschließend seine Ehefrau vor. Beide sind mittleren Alters und nicht sonderlich groß. Der Zug, so hatte er zuvor gewichtig erklärt, müsse zwecks Vermeidung eines Verkehrschaos immer wieder unterbrochen werden. In circa einer Stunde, gegen Uhr 18 Uhr, seien alle eingetroffen. Chap Goh Mei, letzte Nacht des fünfzehn Tage andauernden chinesischen Neujahrsfestes in Singapurs Chinatown. Wir schreiben den 28. Februar.

Nicht traditionelle chinesische Löwentänze bestimmen den heutigen Abend in der New Bridge Road. Auf schweren Tiefladern werden Figuren und Bilder aus Pappmasche und Kunststoff heran gerollt und auf der vierspurigen, mit künstlichen Kirschblütenbäumen und bunten Torbögen üppig geschmückten Straße aufgestellt. Nebeneinander stehend halten wir uns einen Raum direkt hinter der Barriere frei. Singapur sei eine moderne Stadt, versichert unser freundlicher Nachbar. Menschen verschiedener Kulturen - Chinesen, Malaien, Inder - lebten friedlich nebeneinander. Es gebe keine Konflikte. Alles sei unter Kontrolle. Und als Beispiel zeigt er uns die Videokameras, die auf den Kreuzungsbereich ausgerichtet sind. Die Taxen in Singapur seien mit Satelliten verbunden. So sei es der Polizei möglich, jederzeit ihren Standort aber auch Onlinezahlungen der Fahrgäste zu verfolgen. Seit der Installation des Überwachungssystems brauche man kaum noch Polizisten auf der Straße. Die Kriminalitätsrate sei erheblich zurückgegangen.

Heute zumindest wurden zahlreiche Hilfspolizisten bereitgestellt. Ununterbrochen strömen Menschen aus allen Richtungen herbei und füllen den Platz vor und hinter den Absperrungen. Hier sammeln sich junge indische Mädchen. In ihren schmuckvollen Kostümen gleichen sie bezaubernden Tempeltänzerinnen. Dort ist ein provisorischer Schminkstand aufgestellt, an dem junge Männer in Ägypter aus Pharaos Zeiten verwandelt werden. Immer wieder bahnen sich Trommeln schlagende Gruppen junger Männer einen Weg durch die Menge.

Am Rand der Straße, in den Straßenrestaurants, werden schon seit Stunden Vorbereitungen auf einen erwarteten Ansturm getroffen. Es wird gekocht, gegrillt, gebraten. Lange Tische und Stühle werden auf den Gehsteig gestellt. Einige ganz Hungrige machen sich bereits über Nudelsuppe mit Gemüse her. Mit dem Einbruch der Dunkelheit ist der Aufzug der Festwagen, die nun bunt beleuchtet sind, abgeschlossen. Auf einer Bühne beginnt das Programm mit Gesangs- und Tanzdarbietungen. Hier sehen wir auch unsere indischen Tempeltänzerinnen mit der Vorführung einer anmutigen Tanznummer wieder. Und noch während der Festzug wieder abzieht, während das Abschlussfeuerwerk abgebrannt wird und bevor mit lauten Böllerschüssen die bösen Geister vertrieben werden sollen, sind bereits alle Bänke und Stühle in den Restaurants besetzt. Ganz Singapur sitzt in dieser Nacht beim Essen.

Am nächsten Morgen im Sri Mariamman Temple geht es ruhiger zu. Die Renovierung des Gebäudes, Bauarbeiten, überall umher stehende Gerüste und Farbeimer tun dem normalen Betrieb in diesem größten Hindutempel keinen Abbruch. Die Ausgabe von Milch und Honig für religiöse Zwecke, der Verkauf von Eintrittskarten und Erlaubnissen zum Fotografieren, die Annahme von zuckersüßen Opfergaben gehen in ruhiger Bedächtigkeit vor sich. In einem offenen Seitenraum, eingehüllt in den Qualm von Räucherstäbchen, beenden mehrere Priester ihre Zeremonie mit einem Rundgang um das Tempelinnere. Die kleine Prozession wird angeführt von zwei Musikern mit Schlag- und Blasinstrument. Von den kahlen Wänden hallt der Klang des Blasinstrumentes, seine fremdartige, fast verlockende Melodie eindringlich zurück. Unter den wenigen Personen, die den Umzug in der Haupthalle beobachten befinden sich auch zwei mit kostbarem Tuch bekleidete Damen indischer Herkunft. Zunächst wissen Sie mit unserer Frage nichts anzufangen. Dann allerdings lachen sie und erklären, die zum Teil unglaublich dicken Priester würden sich ausschließlich von Reis ernähren. Erst nach ungläubigem Nachfragen müssen sie unsere Vermutung schmunzelnd bestätigen. Ja, es mag die anormale Körperfülle wirklich daher rühren, dass die Priester wohl all die süßen Opfergaben selber essen müssten. Unsere Beobachtungen und Schlussfolgerungen fanden sie recht interessant.

Zum Bahnhof, dem großartigen Jugendstilgebäude der ehemaligen Western & Oriental Express, wollen wir ein Taxi nehmen. Im Hotel klärt man uns auf, dass auf der vielbefahrenen Hauptstraße vor dem Hotel kein Taxi mehr halten dürfe. Wir sollten lieber gleich zum naheliegenden Taxihaltepunkt gehen. Wir stellen uns dennoch an die Straße. Hielten doch vor dem benachbarten Nudelstand ständig Taxen, um Huhn mit Reis oder Nudeln zu ordern und zum eigenen Verzehr gleich mitzunehmen. Unser Taxifahrer, ein schlitzohriger Chinese, bestätigt, dass das Aufnehmen und Absetzen der Fahrgäste nur noch an vorgeschriebenen Haltepunkten erlaubt sei. Gefürchtet werde von seinen Kollegen auch das Überfahren einer gelben oder roten Ampel, da die Videoüberwachung leicht den Verkehrssünder ausmachen könne. Alles sei verboten, das Leben werde nicht leichter. Sein Fahrzeug ist mit einem Bildschirm bestückt, auf dem neben seinem Namen und seiner Lizenznummer abwechselnd Werbung, Anzeigen über die Entfernungen der gefahrenen Strecke und die Reststrecke bis zum Zielpunkt sowie der zu zahlende Fahrpreis erscheinen. Dieser richte sich auch nach der Tageszeit. Am Morgen sei es vor sieben billiger als danach. Zum angezeigten Preis müsse noch die Steuer und bei Kartenzahlung eine Gebühr hinzugerechnet werden.

Am Bahnhof zahlen wir bar. Der Fahrer berechnet uns acht Singapurdollar fünfundsechzig - wie der Bildschirm anzeigt. Mit der Malaysia Rail verlassen wir Singapura, die Löwenstadt mit Herz. Übrigens: Ihr Wahrzeichen, der wasserspeiende Löwe Merlion, hat einen Fischschwanz.

 

Singapur, Februar 2010

 

Photos:
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